K. Domanski u.a. (Hrsg.): Der Basler Edelstein

Cover
Titel
Der Basler Edelstein. Ulrich Boners Fabelsammlung in der Handschrift der Universitätsbibliothek Basel AN III 17


Herausgeber
Domanski, Kristina; Gutscher-Schmid, Charlotte; Kropik, Cordula
Reihe
Publikationen der Universitätsbibliothek Basel 48
Erschienen
Basel, Schweiz 2021: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
207 S.
Preis
CHF 38.00
von
Martin Germann

Diese mittelalterliche Pergamenthandschrift wird heute wegen ihres Aufbewahrungsortes «Basler Edelstein» genannt, doch ist ihr Ursprung bernisch: Als Dichter dieser Sammlung von Fabeln in berndeutscher Schriftsprache wird der Predigermönch (Dominikaner) Ulrich Boner angenommen, der 1324 in Thun und 1349 in Bern urkundlich erwähnt ist. Vielleicht war er seinerzeit im Predigerkloster Bern vom Volk geschätzt, wenn er zeitlos lehrreiche antike Fabeln in seinen Predigten verwendete. Die hundert Gedichte umfassende handschriftliche Sammlung hat er dem Freiherrn zu Brienz, Johann I. von Ringgenberg (gest. 1351), gewidmet, der selbst als Minnesänger bekannt geworden ist.

Der vorliegende Band über die Handschrift ist ein Werk von drei Kunsthistorikerinnen und Germanistinnen. In einem gemeinsamen Kapitel (S. 67–71) behandeln sie die Herstellung der Handschrift um 1410, ihre Ausstattung und ihre Besitzergeschichte. Ihr Fazit über die reich bebilderte Handschrift lautet: «Insgesamt ist festzustellen, dass die Künstler […] ganz unterschiedliche Anregungen aufnehmen und in Text, Bild und Dekoration aufs Sorgfältigste miteinander verknüpfen: Den alemannischen Text, oberitalienische Bildquellen, französisches Urkundenwesen und böhmische Buchmalerei komponieren sie zu einem prachtvollen Ganzen.» (S. 68)

Im ersten Kapitel bearbeitet Cordula Kropik aus literaturwissenschaftlicher Sicht die Fabelsammlung (S. 13–24). Seit der Antike wurden römische Fabeln tradiert, sowohl durch die Literatur als auch durch Kunstwerke. Immer geht es in der Fabel mit ihren lebensnahen Geschichten oft aus der vermenschlichten Tierwelt um den Gehalt an Moral und Weisheit, die der Mensch erkennen und sich aneignen soll. Die Essenz liegt in «Bîschaft» und «Bîspel», wie das «Beispiel» im Mittelhochdeutschen genannt wird, im Schlusswort Boners: «Wer die bîschaft merken will / der setz sich uf des endes zil / der nutz lît an dem ende gar / der bîschaft, wer sin nimet war» (im Sinne von: «wer ihre Lehre wahrnimmt»).

Boners Sammlung hat ihren sinnreichen Titel von der ersten Fabel, worin der Hahn auf Futtersuche einen wertvollen Edelstein findet. Er wirft ihn weg, weil er lieber ein Haferkorn gefunden hätte, blind für den Wert wie die Narren für die Weisheit. In der äsopischen Fabel siegen Frechheit und Klugheit oft über Moral. Einige Fabeln zielen auf das feudale Gesellschaftssystem und das aufstrebende bürgerliche Selbstbewusstsein (S.19f.). Johann von Ringgenberg, der Empfänger des Werks aus dem Freiherren stand, hatte sich gegen Machtansprüche Berns zu wehren. So haben Fabeln wie die von «Feldmaus und Stadtmaus» (Nr. 15), «Von Hund und Wolf» (Nr. 59) oder jene der «Frösche, die einen König haben wollten» (Nr. 25) eine allgemeingültige Lehre, können aber auch politisch gelesen werden.

Boners Fabeln waren seinerzeit beliebt. Dies zeigen die vielen Abschriften, rezipiert bis nach Schwaben, Bayern und Franken (S. 20f.). Bekannt sind 36 mittelalterliche Abschriften sowie zwei mit Holzschnitten illustrierte Inkunabeldrucke aus Bamberg um 1461.

Die in Bern um 1410 entstandene sogenannte Basler Handschrift ist für Bern von besonderem Interesse, weil sie dort sechzig Jahre später nochmals abgeschrieben worden ist, nämlich vom bernischen Vogt von Erlach, Heimon Egli, und heute in der Burgerbibliothek Bern (Mss. hist. helv. X 49) aufbewahrt wird. Dass Egli selbst der Schreiber und Autor der Federzeichnungen gewesen ist, ist höchst wahrscheinlich (S. 22f.). Den Textbestand untersucht Kropik im Detail und kann die Abfolge von Herstellung und späteren Textverlusten plausibel machen (S. 75–77).

Im Kapitel «Varietas delectat» untersucht Charlotte Gutscher-Schmid den Buchschmuck (S. 25–43). Sie stellt den ausserordentlichen gestalterischen Reichtum fest. Dieser reicht von der Kalligrafie über die siebzig variierend geschmückten Initialen bis zu den üppigen Randleisten. Aus ihren Forschungen gibt sie für alle Elemente Vorbilder aus der Buchkunst des frühen 15. Jahrhunderts, sowohl in savoyischer und französischer Urkundenkalligrafie als auch in Musterbüchern italienischer Seidenproduktion. Eine Schule oder Werkstätte kann in dieser Zeit der internationalen Gotik nicht festgestellt werden. Im Kapitel «Der Buchschmuck» bespricht die Autorin die einzelnen Gestaltungselemente detailliert (S. 78–80).

Kristina Domanski behandelt in ihrem Kapitel mit dem Titel «Luxus, Lebensnähe und Erzählfreude» die zweispaltigen Miniaturen, die im Basler Edelstein jede Fabel schmücken (S. 45–66). Fabeln sind seit der Antike illustriert worden. Obschon sie keinen geistlichen Hintergrund hatten, sondern als «Weltweisheit» galten, kennt man Darstellungen in kirchlichem Rahmen, die dem mittelalterlichen Betrachter durchaus geläufig waren als Hinweis auf eine zweite Sinnebene (Abbildungen 33, 35, 81 und 82 aus dem 12. bis 15. Jahrhundert).

Aus Frankreich sind volkssprachliche Fabelsammlungen seit dem Hochmittelalter bekannt, auch in kostbar ausgestatteten Manuskripten. Im Vergleich mit der Buchmalerei um 1410 zeigt die Autorin, dass die modischen Accessoires qualitativ hochwertigen Vorlagen nachgebildet sind. Doch ist eine direkte Vorlage nicht festzustellen, sondern eine arbeitsteilige Herstellung in einer unbekannten Werkstatt mit mindestens zwei beteiligten Buchmalern. Zudem sind vermutlich zwei Arbeitsphasen anzunehmen (S. 81–83).

Im Anhang finden sich weitere Beiträge: Peter Litwan behandelt die lateinischen Verspaare, die der Basler Handschrift beigefügt sind (S. 84–87), und ediert und übersetzt diese im anschliessenden Bestandskatalog. Monika Studer untersucht die Abfolge der Besitzer, soweit bekannt, besonders auch den Übergang aus bernischem Besitz nach Basel, sowie den Lagenaufbau (S. 88–90). Die Restauratorinnen Lisa Dittmann und Friederike Hennig berichten über die Restaurierung und Neubindung (S. 91–98). Nach einer tabellenförmigen Übersicht über die Abfolge der Fabeln (S. 99–101) folgen das Lagenprotokoll (S. 102) sowie der Bestandskatalog mit einer kurzen Beschreibung jeder Fabel: Quelle und Überlieferung, Illustration und Buchschmuck, Text, Inhaltsangabe und Lehre sowie das Distichon (S. 103–141).

Als dritter Teil sind neun ausgewählte Fabeln sorgfältig transkribiert und parallel neuhochdeutsch übersetzt abgedruckt, mit Bild versehen und von den drei Herausgeberinnen kommentiert (S. 144–200). Das schön gestaltete Buch wendet sich an Liebhaber der mittelalterlichen Buchmalerei, und die Fabeln könnten auch als Lehrmittel für die ältere deutsche Sprache dienen und sogar zum Vortragen sich eignen.

Zitierweise:
Martin Germann: Rezension zu: Domanski, Kristina; Gutscher-Schmid, Charlotte; Kropik, Cordula (Hrsg.): Der Basler Edelstein. Ulrich Boners Fabelsammlung in der Handschrift der Universitätsbibliothek Basel AN III 17. (Publikationen der Universitätsbibliothek Basel, Bd. 48). Basel: Schwabe 2021. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 2, 2022, S. 42-44.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 2, 2022, S. 42-44.

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